Marmorino

Was ist Marmorino?

Marmorino bezeichnet sowohl das Material als auch die Verarbeitungstechnik eines hochwertigen Kalkputzes, der ursprünglich aus Venedig stammt. Die Technik erzeugt eine glatte, glänzende Oberfläche, die poliertem Marmor ähnelt. Der Name leitet sich vom italienischen Wort "marmo" für Marmor ab.

Bereits in der Renaissance wurde Marmorino in venezianischen Palästen verwendet, um kostbare Marmorverkleidungen zu imitieren oder eigenständige dekorative Wandoberflächen zu gestalten. Die Technik verbindet ästhetische Qualität mit den bauphysikalischen Vorteilen von Kalkputzen. Anders als bei modernen Spachtelmassen entsteht die charakteristische Optik ausschließlich durch die Verarbeitung des mineralischen Materials, ohne Zusatz von Kunstharzen oder synthetischen Bindemitteln.

Zusammensetzung und Material

Die Grundrezeptur besteht aus gelöschtem Sumpfkalk und feinst gemahlenem Marmormehl oder Marmorsand. Das Mischungsverhältnis variiert je nach gewünschter Körnung und Oberflächenstruktur. Historische Rezepturen verwendeten ausschließlich natürliche Rohstoffe, die vor Ort verfügbar waren. Moderne Marmorino-Produkte folgen diesem Prinzip weitgehend, können jedoch Zusätze zur Verarbeitbarkeit enthalten.

Die Korngröße des Marmormehls bestimmt die spätere Oberflächenstruktur: Feines Mehl ergibt glatte, hochglänzende Flächen, während gröbere Körnungen eine leicht strukturierte Haptik erzeugen. Der hohe Kalkanteil sorgt für die Diffusionsoffenheit und die alkalischen Eigenschaften, die Schimmelbildung verhindern. Die weiße Grundfarbe lässt sich mit mineralischen Pigmenten einfärben.

Verarbeitung und Technik

Die Verarbeitung von Marmorino erfordert handwerkliches Geschick und erfolgt in mehreren Arbeitsschritten. Der Untergrund muss tragfähig, sauber und ausreichend fest sein. Auf vorbereitete Flächen wird zunächst eine Grundierung aufgetragen, die die Saugfähigkeit reguliert. Anschließend folgen zwei bis drei dünne Lagen Marmorino, die mit der Glättkelle aufgezogen werden. Jede Schicht muss ausreichend anziehen, bevor die nächste aufgetragen wird. Die Schichtstärken liegen typischerweise zwischen einem und zwei Millimetern.

Nach dem Auftrag der letzten Lage beginnt der eigentliche Veredelungsprozess: Mit der Glättkelle wird die noch feuchte Oberfläche unter Druck verdichtet und poliert. Dieser Vorgang wird mehrfach wiederholt, bis die gewünschte Glätte und der charakteristische Glanz entstehen. Die Bewegungsführung der Kelle erzeugt dabei die typischen Farbverläufe und Wolkungen.

Oberflächenvarianten und Gestaltungsmöglichkeiten

Marmorino bietet verschiedene Oberflächengestaltungen, die sich in Struktur und Glanzgrad unterscheiden:

  • Marmorino classico: Hochglänzend polierte Oberfläche mit feiner Marmorierung
  • Marmorino naturale: Matte bis seidenmatte Oberfläche mit dezenter Struktur
  • Marmorino artistico: Stark strukturierte Variante mit ausgeprägten Farbverläufen
  • Stucco veneziano: Besonders fein geschliffene, spiegelähnliche Oberfläche

Die Farbgebung reicht von reinem Weiß über Pastelltöne bis zu kräftigen Farben. Durch mehrfarbige Aufträge oder das Einarbeiten verschiedener Pigmentierungen entstehen lebendige, dreidimensional wirkende Oberflächen. Die Gestaltung kann ruhig und gleichmäßig oder bewegt und wolkig erfolgen. Auch geometrische Muster oder Imitationen historischer Marmorsorten sind möglich.

Bauphysikalische Eigenschaften

Die rein mineralische Zusammensetzung verleiht Marmorino hervorragende bauphysikalische Eigenschaften. Die hohe Diffusionsoffenheit ermöglicht den Feuchtigkeitsaustausch zwischen Wand und Raumluft. Überschüssige Luftfeuchtigkeit wird aufgenommen und zeitversetzt wieder abgegeben, was zur Regulierung des Raumklimas beiträgt.

Die alkalische Oberfläche wirkt auf natürliche Weise desinfizierend und beugt Schimmelbildung vor. Anders als kunstharzhaltige Beschichtungen entstehen keine Emissionen oder Ausdünstungen. Die Oberfläche ist antistatisch und zieht keinen Staub an. Die Festigkeit nimmt durch fortschreitende Carbonatisierung über Jahre hinzu. Marmorino ist wasserabweisend, jedoch nicht wasserdicht, was den Dampfdiffusionsausgleich ermöglicht.

Pflege und Beständigkeit

Marmorino-Oberflächen sind langlebig und pflegeleicht. Die verdichtete, polierte Oberfläche ist unempfindlich gegen normale mechanische Beanspruchung. Verschmutzungen lassen sich mit einem feuchten Tuch entfernen. Aggressive Reinigungsmittel oder säurehaltige Substanzen sollten vermieden werden, da sie den Kalk angreifen.

Bei Beschädigungen können betroffene Stellen nachgearbeitet und nahtlos eingegliedert werden. Die Oberfläche entwickelt mit der Zeit eine natürliche Patina, die den Charakter unterstreicht. Im Gegensatz zu Dispersionsfarben, die nach einigen Jahren erneuert werden müssen, bleibt Marmorino über Jahrzehnte erhalten. Die Carbonatisierung verfestigt das Material kontinuierlich, wodurch ältere Oberflächen noch härter und beständiger werden.

Anwendungsbereiche

Marmorino eignet sich für repräsentative Innenräume, in denen hochwertige Wandgestaltung gefragt ist. In Wohnbereichen schafft die Technik eine edle, zeitlose Atmosphäre. Auch in Feuchträumen wie Bädern kann Marmorino eingesetzt werden, sofern keine direkte Wasserbelastung besteht.

In der Denkmalpflege wird die Technik verwendet, um historische Oberflächen zu restaurieren oder zu rekonstruieren. Für Außenanwendungen existieren speziell formulierte Varianten mit höherer Wetterbeständigkeit. Die Technik vereint gestalterische Freiheit mit den gesundheitlichen Vorteilen natürlicher Baustoffe und bietet eine dauerhafte Alternative zu modernen Beschichtungssystemen.