Was bedeutet lösemittelfrei?

Lösemittelfrei bezeichnet Produkte, die ohne oder mit sehr geringen Mengen flüchtiger organischer Verbindungen (VOC) formuliert sind. In der Baubranche bezieht sich der Begriff hauptsächlich auf Farben, Lacke, Klebstoffe und Versiegelungen. Lösemittel dienen in konventionellen Produkten dazu, Bindemittel und Pigmente zu verflüssigen, die Verarbeitung zu erleichtern und die Trocknungszeit zu steuern. Nach dem Auftrag verdunsten diese Substanzen in die Raumluft.
Lösemittelfreie Alternativen verzichten auf diese flüchtigen Bestandteile oder reduzieren sie auf ein Minimum. Die Umstellung auf wasserbasierte Systeme und alternative Formulierungen hat in den letzten Jahrzehnten zu einer deutlichen Reduktion von Lösemitteln in Bauprodukten geführt.
Definition und rechtliche Einordnung
Der Begriff "lösemittelfrei" ist rechtlich nicht eindeutig definiert. Nach gängiger Interpretation gelten Produkte mit einem VOC-Gehalt unter einem Prozent als lösemittelfrei. Einige Hersteller verwenden die Bezeichnung bereits bei Werten unter fünf Prozent. Diese Unschärfe erschwert den Vergleich verschiedener Produkte. Die europäische Decopaint-Richtlinie regelt Grenzwerte für VOC in Farben und Lacken, definiert den Begriff "lösemittelfrei" jedoch nicht verbindlich.
Wasserbasierte Dispersionsfarben werden häufig als lösemittelfrei beworben, können aber dennoch geringe Mengen organischer Lösemittel enthalten. Für eine verlässliche Einschätzung ist daher die Prüfung des technischen Datenblatts oder Sicherheitsdatenblatts erforderlich.
Unterschied zu lösemittelhaltigen Produkten
Konventionelle Lacke und Farben enthalten organische Lösemittel wie Testbenzin, Terpentinersatz, Ethanol oder aromatische Kohlenwasserstoffe. Diese Substanzen lösen Harze und Bindemittel, ermöglichen eine gleichmäßige Konsistenz und verdunsten während der Trocknung. Der Trocknungsprozess ist ein physikalischer Vorgang: Das Lösemittel verflüchtigt sich, zurück bleibt der feste Bestandteil der Beschichtung.
Lösemittelfreie Produkte basieren hingegen auf Wasser als Trägersubstanz oder arbeiten mit Systemen, die ohne flüssige Träger auskommen. Bei wasserbasierten Systemen verdunstet Wasser statt organischer Lösemittel. Einige moderne Systeme härten durch chemische Reaktionen aus, ohne dass nennenswerte Mengen flüchtiger Bestandteile freigesetzt werden.
Gesundheitliche und ökologische Aspekte
Flüchtige organische Verbindungen belasten die Raumluft und können gesundheitliche Beschwerden verursachen. Während der Verarbeitung und Trocknung entstehen charakteristische Gerüche, die auf die Verdunstung hinweisen.
Je nach Substanz reichen die Auswirkungen von Kopfschmerzen und Schleimhautreizungen bis zu langfristigen Belastungen der Atemwege und des Nervensystems. Lösemittelfreie Produkte reduzieren diese Emissionen erheblich. Die Raumluftqualität bleibt auch während und nach der Verarbeitung deutlich besser. Für Allergiker, Kinder und empfindliche Personen stellen lösemittelfreie Produkte eine verträglichere Alternative dar. Ökologisch betrachtet vermindern sie die Belastung der Außenluft und tragen zur Reduktion von bodennahem Ozon bei.
Produkttypen und Anwendungsbereiche
Lösemittelfreie Produkte sind in verschiedenen Kategorien erhältlich:
- Dispersionsfarben auf Wasserbasis: Wandfarben für Innenräume, standardmäßig mit niedrigem VOC-Gehalt
- Wasserlacke: Holzlacke und Möbellacke, die Wasser als Lösungsmittel verwenden
- Naturharzfarben: Farben auf Basis pflanzlicher Öle und Harze ohne synthetische Lösemittel
- Mineralische Farben: Kalk- und Silikatfarben, die von Natur aus keine Lösemittel benötigen
- Reaktionslacke: Zweikomponenten-Systeme, die durch chemische Härtung ohne Lösemittelabgabe aushärten
Jede Produktgruppe hat spezifische Eigenschaften und Einsatzbereiche. Während wasserbasierte Dispersionsfarben für normale Innenwände geeignet sind, erfordern stark beanspruchte Oberflächen oder Außenbereiche oft speziellere Lösungen.
Verarbeitung und technische Eigenschaften
Lösemittelfreie Produkte unterscheiden sich in der Verarbeitung teilweise von konventionellen Alternativen. Wasserbasierte Systeme benötigen oft längere Trocknungszeiten und sind während der Verarbeitung frostempfindlich. Die Werkzeugreinigung erfolgt mit Wasser, was die Handhabung vereinfacht.
Naturharzfarben und Öle können je nach Formulierung längere Durchhärtungszeiten aufweisen, dünsten dabei aber keine schädlichen Substanzen aus. Die mechanische Belastbarkeit und Beständigkeit lösemittelfreier Beschichtungen hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Moderne Formulierungen erreichen bei vielen Anwendungen die gleiche Qualität wie lösemittelhaltige Produkte, ohne deren gesundheitliche Nachteile.
Worauf bei der Produktwahl zu achten ist
Die Bezeichnung "lösemittelfrei" allein garantiert keine ökologische oder gesundheitlich unbedenkliche Zusammensetzung. Auch lösemittelfreie Produkte können problematische Inhaltsstoffe wie Konservierungsmittel, Weichmacher oder Filmbildehilfen enthalten. Prüfsiegel wie der Blaue Engel, Nature Plus oder das Europäische Umweltzeichen bieten zusätzliche Orientierung. Diese Zertifizierungen berücksichtigen neben dem Lösemittelgehalt auch andere gesundheits- und umweltrelevante Kriterien.
Technische Datenblätter geben Auskunft über den genauen VOC-Gehalt und die Emissionsklasse. Für besonders sensible Bereiche wie Kinderzimmer oder Schlafräume empfiehlt sich die Wahl mineralischer Farben, die von Natur aus ohne organische Lösemittel und synthetische Bindemittel auskommen.
