Was ist hydraulischer Kalk?

Hydraulischer Kalk ist ein Bindemittel, das sowohl an der Luft als auch unter Wasser aushärten kann. Im Gegensatz zu reinem Luftkalk (Sumpfkalk), der ausschließlich durch Carbonatisierung erhärtet, besitzt hydraulischer Kalk zusätzlich die Fähigkeit zur hydraulischen Erhärtung: Er reagiert chemisch mit Wasser und bildet dabei wasserunlösliche Verbindungen.
Diese Eigenschaft entsteht durch natürliche Tonanteile im Kalkstein, die beim Brennen zu reaktiven Calcium-Silikat-Verbindungen werden. Hydraulischer Kalk verbindet die Vorteile von Kalk (Diffusionsoffenheit, Verarbeitbarkeit) mit höherer Festigkeit und Wasserbeständigkeit.
Chemische Grundlagen
Die hydraulischen Eigenschaften entstehen durch die chemische Zusammensetzung des Ausgangsmaterials. Reiner Kalkstein besteht aus Calciumcarbonat (CaCO₃). Enthält der Kalkstein jedoch Tonminerale (Aluminiumsilikate), bilden sich beim Brennen neben Calciumoxid auch Calcium-Silikate und Calcium-Aluminate.
Diese Verbindungen reagieren bei Wasserzugabe ähnlich wie Zement und bilden kristalline Strukturen, die den Mörtel verfestigen. Je höher der Tonanteil im Ausgangsmaterial, desto stärker die hydraulischen Eigenschaften und desto höher die Endfestigkeit. Gleichzeitig nimmt mit steigendem hydraulischem Anteil die Diffusionsoffenheit ab.
Klassifizierung nach Hydraulizität
Hydraulischer Kalk wird nach dem Grad seiner Hydraulizität eingeteilt. Die europäische Norm DIN EN 459 unterscheidet:
- NHL 2: Schwach hydraulisch, Druckfestigkeit 2 bis 7 N/mm²
- NHL 3,5: Mittel hydraulisch, Druckfestigkeit 3,5 bis 10 N/mm²
- NHL 5: Stark hydraulisch, Druckfestigkeit 5 bis 15 N/mm²
Die Zahl gibt die Mindestdruckfestigkeit in N/mm² nach 28 Tagen an. NHL steht für "Natürlich Hydraulischer Kalk" und kennzeichnet Produkte, die ausschließlich aus dem Brennen von tonhaltigem Kalkstein gewonnen werden, ohne Zusatz von Zement oder Puzzolanen.
NHL, HL und FL
Neben natürlich hydraulischem Kalk (NHL) gibt es weitere Bezeichnungen:
- NHL (Natürlich Hydraulischer Kalk): Rein aus tonhaltigem Kalkstein gebrannt, keine Zusätze
- NHL-Z: Natürlich hydraulischer Kalk mit bis zu 20% Zementzusatz
- HL (Hydraulischer Kalk): Kann Zusätze wie Zement, Hüttensand oder Puzzolane enthalten
- FL (Formulierter Kalk): Mischungen aus Kalk mit hydraulischen oder puzzolanischen Zusätzen
Für baubiologische Anwendungen und die Denkmalpflege wird reiner NHL bevorzugt, da nur er die traditionellen Eigenschaften hydraulischen Kalks ohne moderne Zusätze bietet.
Unterschied zu Luftkalk
Der wesentliche Unterschied zwischen hydraulischem Kalk und Luftkalk liegt im Erhärtungsmechanismus
Luftkalk (Sumpfkalk):
- Erhärtet nur durch Carbonatisierung (CO₂-Aufnahme aus der Luft)
- Benötigt Luftkontakt zum Aushärten
- Bleibt unter Wasser weich
- Höchste Diffusionsoffenheit
- pH-Wert 12,6
Hydraulischer Kalk:
- Erhärtet zusätzlich durch Reaktion mit Wasser
- Härtet auch unter Wasser und in feuchter Umgebung
- Höhere Endfestigkeit
- Geringere Diffusionsoffenheit als Luftkalk
- pH-Wert niedriger (je nach Hydraulizität)
Für reine Innenraumanwendungen ist Luftkalk (Sumpfkalk) oft die bessere Wahl wegen seiner überlegenen Feuchteregulierung und höchsten Diffusionsoffenheit. Hydraulischer Kalk eignet sich besser für beanspruchte Bereiche und Außenanwendungen.
Anwendungsbereiche
Hydraulischer Kalk wird dort eingesetzt, wo höhere Festigkeit oder Feuchtebeständigkeit gefordert sind:
- Sockelputze und erdberührte Bereiche
- Außenputze und Fassaden
- Mauerwerke mit hoher Feuchtebelastung
- Fugen- und Setzungsmörtel im Denkmalbereich
- Untergründe für nachfolgende Kalkputzschichten
- Historische Gewölbe und Brückenbauwerke
In der Denkmalpflege ist hydraulischer Kalk wichtig, da viele historische Bauwerke mit diesem Material errichtet wurden. Eine materialgerechte Restaurierung erfordert dann ebenfalls hydraulischen Kalk, um Spannungen zwischen altem und neuem Material zu vermeiden.
Verarbeitung
Hydraulischer Kalk wird als Pulver geliefert und vor Ort mit Wasser und Sand angemischt. Anders als Sumpfkalk ist er nicht eingesumpft und muss zeitnah verarbeitet werden. Nach dem Anmischen beginnt die hydraulische Erhärtung, die das Zeitfenster für die Verarbeitung begrenzt.
Die Verarbeitung ähnelt der von Zementmörteln, erfordert aber mehr Sorgfalt. Hydraulischer Kalk ist empfindlicher gegenüber falschen Mischungsverhältnissen und ungünstigen Witterungsbedingungen. Zu schnelles Austrocknen oder Frost während der Erhärtung können die Festigkeitsentwicklung beeinträchtigen.
Kombination mit Luftkalk
In der Praxis werden hydraulischer Kalk und Luftkalk oft kombiniert. Ein typischer Putzaufbau besteht aus einem hydraulischen Unterputz, der Festigkeit und Feuchtebeständigkeit bietet, und einem Oberputz aus Sumpfkalk, der optimale Diffusionsoffenheit und Oberflächenqualität liefert.
Diese Kombination vereint die Stärken beider Materialien: Der hydraulische Unterputz schafft einen stabilen, feuchteunempfindlichen Träger, während der Luftkalk-Oberputz die Raumklimaregulierung und den natürlichen Schimmelschutz übernimmt.
